19

 

Die Dämmerung kam früh an diesem Abend und brachte noch mehr kalten und beharrlichen Novemberregen mit, der aus einem Nebelschleier schwarzer Wolken fiel. Die Wohnsiedlung in Bostons Stadtteil Southie -  mit ihrer Massenansammlung von aluminiumverkleideten Zweifamilienhäusern und dreistöckigen Mietskasernen schon am hellen Tag kein Augenschmaus -  war unter dem sintflutartigen Dauerregen zu einem farblosen, nassen Slum verkommen.

Dante und Chase hatten Ben Sullivans heruntergekommenen Häuserblock vor einer guten Stunde erreicht und warteten hinter den getönten Scheiben eines Geländewagens. Das Fahrzeug fiel hier auf, schon allein wegen des makellos gepflegten Erscheinungsbildes, aber es strahlte auch eine deutliche Fang-mit-mir-keinen-Scheiß-an-Schwingung  aus, die Schlägergangs und sonstiges Gesindel auf Abstand hielt. Die wenigen, die nah genug am Fenster vorbeigingen, um einen Blick zu riskieren, sahen Dantes Fangzähne durch das Glas aufblitzen und machten eilig, dass sie weiterkamen.

Dante war kribbelig von der ganzen Warterei und wünschte halbherzig, einer der schwachköpfigen Menschen wäre dumm genug, etwas zu riskieren, damit er ein wenig von seiner aufgestauten Energie ablassen konnte.

„Sind Sie auch sicher, dass das die richtige Adresse ist?“, fragte Chase neben ihm.

Dante nickte und trommelte mit den Fingern auf das Lenkrad. „Ja. Ich bin sicher.“

Er war in Versuchung gewesen, Tess’ Exfreund, dem Crimson-Dealer, allein einen Besuch abzustatten, hatte dann aber doch vorsichtshalber Unterstützung mitgebracht. Unterstützung für Ben Sullivan, nicht für sich. Denn wäre Dante allein gekommen, würde der Mann womöglich nicht mehr atmen, wenn er mit ihm fertig war.

Nicht nur, weil Sullivan dealender Abschaum war. Auch der Umstand, dass der Kerl Tess kannte und ohne Zweifel höchst vertraut mit ihr war, entfachte Wut in ihm. Ungerufen hatte ihn ein ängstlicher Besitzerstolz erfasst, ein Verlangen, sie vor Versagern wie diesem Sullivan zu schützen.

Na sicher. Als ob Dante selbst das große Los wäre.

„Wie sind Sie an seine Adresse gekommen?“ Chases Frage riss ihn aus seinen Gedanken, und er besann sich wieder auf ihre Mission. „Abgesehen davon, dass wir dieses menschliche Wiesel neulich Nacht haben weglaufen sehen, gab es doch kaum Hinweise auf seine Identität.“

Er zuckte nur kurz mit der Schulter, ohne Chase eines Blickes zu würdigen. Lebhafte Erinnerungen an gemeinsame Stunden mit Tess bedrängten ihn. „Es spielt keine Rolle, wie“, sagte er nach einer Weile. „Ihr Dunkle-Häfen-Jungs habt eure Methoden, wir haben unsere.“

Erneut durchflutete ihn kribbelnde Ungeduld, da erhaschte er plötzlich einen Blick auf seine Beute. Er setzte sich im Fahrersitz auf und spähte angespannt in die Nacht. Der Mensch bog um die Ecke, grau vermummt, den Kopf gesenkt, das Gesicht vom Kapuzenshirt teilweise verdeckt. Seine Hände steckten in den Taschen seiner riesigen, parkaähnlichen Weste. Der Kerl ging schnell und warf immer wieder einen Blick über seine Schulter, als würde er mit Schwierigkeiten rechnen. Er war es!

Dante war ganz sicher.

„Da ist ja unser Mann“, sagte er, als der Mensch die Betonstufen hinaufeilte, die zu seiner Wohnung führten. „Auf geht’s, Harvard. Werden Sie munter.“

Sie aktivierten die Alarmanlage des Wagens und folgten dem Kerl in das Gebäude, noch bevor die Tür wieder zufallen konnte. Die beiden Männer des Stammes bewegten sich mit der angeborenen Gewandtheit und Schnelligkeit der Vampirrasse.

Als der Mensch im dritten Stock den Schlüssel im Schloss drehte und seine Wohnungstür aufstieß, war Dante bei ihm, stieß ihn in das dunkle Apartment und warf ihn quer durch das spartanische Wohnzimmer.

„Verdammte Sch …“ Sullivan kam auf einem Knie hoch, doch dann erstarrte er. Vom Flur her fiel das Licht einer nackten Glühbirne auf sein Gesicht.

Etwas flackerte in den Augen des Menschen auf, etwas anderes als unmittelbare Angst. Wiedererkennen, dachte Dante, vermutlich von jener Nacht im Club her. Aber da war auch Wut und heftige Ablehnung. Reine, nackte, männliche Feindseligkeit. Dante konnte förmlich riechen, wie sie dem Menschen aus allen Poren sickerte.

Langsam kam er auf die Beine. „Was zum Teufel ist hier los?“

„Sag du es uns“, gab Dante zurück und ließ mit reiner Willenskraft eine Lampe angehen. Hinter ihm schloss Chase die Tür und verriegelte sie. „Ich bin sicher, du kannst dir denken, dass dies kein Höflichkeitsbesuch ist.“

„Was wollt ihr?“

„Zunächst mal Informationen. Es liegt ganz bei dir, wie wir vorgehen, um an diese Informationen zu kommen.“

„Was für Informationen?“ Sein Blick wanderte gehetzt zwischen Dante und Chase hin und her. „Ich weiß nicht, wer ihr zwei Typen seid, und ich hab nicht die leiseste Ahnung, wovon ihr …“

„Also pass mal auf“, unterbrach ihn Dante und lachte in sich hinein, „solche Schwachsinns-Antworten sind ein ganz schlechter Anfang.“ Als die rechte Hand des Menschen in die tiefe Tasche seiner daunengefütterten Weste glitt, grinste Dante höhnisch. „Wenn du mir beweisen willst, dass du ein Volltrottel bist, dann mach und zieh die Kanone. Ich sag dir ganz offen, ich hoffe, dass du es tust.“

Ben Sullivans Gesicht wurde so weiß wie die farblosen Wände des Apartments. Schön langsam zog er die Hand wieder hervor. „Woher …“

„Erwartest du heute Nacht noch jemanden außer uns?“ Dante schlenderte zu Sullivan und nahm ihm ohne Gegenwehr die abgegriffene 45er aus der Tasche. Er drehte sich zu Chase und reichte ihm die gesicherte Waffe. „Beschissene Ausrüstung für einen beschissenen Dealer, was?“

„Die hab ich nur zu meinem Schutz, und ich bin kein …“

„Nimm doch Platz“, sagte Dante und stieß den Kerl in einen Kunstledersessel, das einzige Möbelstück im Apartment, abgesehen von einem Computerarbeitsplatz in der Ecke und einem Wandregal mit Stereoanlage. Zu Chase sagte er: „Filz die Bude gründlich durch, mal sehen, was du findest.“

„Ich bin kein Dealer“, wiederholte Sullivan beharrlich, als Chase die Wohnung zu durchsuchen begann. „Ich weiß nicht, was Sie denken …“

„Das werd ich dir sagen.“ Dante beugte sich über ihn und fühlte, wie die Wut seine Augen schärfte und seine Fangzähne herausdrückte. „Ganz bestimmt willst du nicht leugnen, dass wir dich vor drei Tagen im Club gesehen haben, wo du mit Crimson gedealt hast. Wie lange bringst du das Zeug schon in Umlauf? Woher kriegst du es?“

Der Mensch blickte zu Boden und arbeitete fieberhaft an einer Lüge. Dante packte ihn hart am Kinn und stellte den Augenkontakt wieder her. „Du willst doch deswegen nicht sterben, Arschloch, oder doch?“

„Was wollen Sie denn hören? Sie irren sich. Ich habe überhaupt keine Ahnung, wovon Sie reden.“

„Vielleicht kann sie  uns ja etwas erzählen“, sagte Chase, der aus dem Schlafzimmer kam, als Dante gerade ansetzte, den Dealer grün und blau zu prügeln. Chase hatte ein gerahmtes Foto in der Hand und hielt es Dante hin. Es war eine Aufnahme von Ben und -  mit kürzeren Haaren, aber dennoch atemberaubend -  Tess. Wie ein glückliches Paar posierten sie vor einem Schild vor ihrer Klinik. „Ihr zwei seht ja richtig kuschelig aus.

Ich wette, sie kann uns über deine feierabendlichen Aktivitäten aufklären.“

Der Mensch starrte Chase feindselig an. „Lasst sie verdammt noch mal in Ruhe oder ich …“

„Steckt sie mit drin?“, fragte Dante mit rauer, kratzender Stimme.

„Das fragen Sie mich?“, höhnte der Mann. „Sie haben ihr doch gestern Abend vor ihrer Wohnung die Zunge in den Hals gesteckt. Ja, ich war auch da. Ich habe Sie gesehen, Sie Hurensohn.“

Diese Neuigkeit kam überraschend für Dante, erklärte allerdings die schwelende Wut des Mannes. Dante spürte den fragenden Blick von Chase, aber er konzentrierte sich weiter auf Tess’ eifersüchtigen Ex.

„Ich verliere langsam die Geduld mit dir“, knurrte er, dann schüttelte er den Kopf. „Nein, vergiss es. Meine Geduld ist endgültig verbraucht.“ Stahl funkelte, als er blitzartig eine seiner gebogenen Klingen aus der Scheide zog und die scharfe Kante gegen Ben Sullivans Hals drückte. Er lächelte fein, als die Augen des Menschen sich vor Schreck weiteten. „O ja, das fühlt sich auch für mich gleich erheblich besser an. Jetzt werde ich deinem Kehlkopf ein wenig Luft zum Atmen gönnen, und du wirst schön anfangen zu reden. Keinen Scheiß und keine Verzögerungstaktik mehr. Blinzele einmal, wenn du mich verstanden hast, Benny-Boy.“

Der Mensch senkte kurz die Lider, dann fixierte er ängstlich Dantes Klinge.

„Die haben mir eingeschärft, keinem was zu erzählen“, beeilte er sich zu sagen.

„Wer sind die?“

„Ich weiß es nicht -  wer auch immer mich dafür bezahlt, dass ich den Mist herstelle.“

Dante blickte ihn finster an. „Du produzierst das Crimson selbst?“

Der Dealer versuchte zu nicken, soweit der kalte Stahl an seinem Hals es zuließ. „Ich bin Wissenschaftler, zumindest war ich das mal. Hab als Chemiker für eine Kosmetikfirma gearbeitet, bis ich vor ein paar Jahren gefeuert wurde.“

„Überspring das Arbeitslosendrama und erzähl mir von dem Crimson.“

Sullivan schluckte vorsichtig. „Hab’s für die Clubszene entwickelt, um mir was nebenbei zu verdienen. Letzten Sommer, kurz nachdem ich angefangen hatte, damit zu handeln, trat dieser Kerl an mich heran, ich sollte die Produktion hochfahren.

Er sagte, er hätte Kontakte, die mit mir ins Geschäft kommen wollten und gut dafür zahlen würden.“

„Aber du weißt nicht, wer deine Geschäftspartner sind?“

„Nein. Wer nicht fragt, kann nicht reden. War mir auch egal, ehrlich. Wer auch immer die sind, sie zahlen bar und nicht zu knapp. Die Kohle wurde in einem Schließfach auf der Bank hinterlegt.“

Dante und Chase tauschten einen Blick. Beide wussten im Gegensatz zu Sullivan, dass er sich mit Rogues eingelassen und wahrscheinlich Verbindung zum Führer einer neuen Splittergruppe hatte. Die Rogues hatten sich vor einigen Monaten organisiert, um einen Krieg vorzubereiten, den ihr Führer innerhalb der Vampirrasse anzetteln wollte. Dante und der Orden konnten diese Pläne durch Sprengung des Rogue-Hauptquartiers vereiteln, aber sie hatten die Bedrohung nicht restlos ausschalten können. Solange die Rogues wild rekrutierten und ihre Anzahl zunahm -  was unter Zuhilfenahme einer Droge wie Crimson noch viel schneller ging - , war es keine Frage, ob, sondern nur, wann der Krieg losbrach.

„Was soll überhaupt die ganze Aufregung? Crimson ist doch keine harte Droge. Ich hab es ja sogar im Selbstversuch getestet.

Ist bloß ein leichtes Aufputschmittel, nicht viel anders als X oder Speed.“

Chase stand neben Dante. Höhnisch bemerkte er: „Nicht viel anders? Du träumst wohl. Hast du gesehen, was neulich Nacht passiert ist?“

Dante drückte die Klinge ein wenig fester an Sullivans Hals.

„Du hattest doch einen Logenplatz bei der kleinen Freakshow, nicht?“

Sullivans Kiefermuskeln traten hervor, als er die Zähne fest zusammenbiss. Sein unsicherer Blick klammerte sich an Dante.

„Ich … ich bin nicht sicher, was ich gesehen habe. Ich schwör’s.“

Dante musterte ihn abschätzend. Er konnte sehen, dass der Mensch verängstigt war, aber log er? Verdammt. Er wünschte, Tegan wäre mitgekommen. Niemand, weder Mensch noch Stammesmitglied, konnte die Wahrheit vor diesem Krieger verbergen. Allerdings -  wie er Tegan kannte, hätte der genau wie Dante größte Lust, den Kerl, der dieses Elend über die Vampirbevölkerung gebracht hatte, gnadenlos abzumurksen.

„Hört mal.“ Sullivan versuchte aufzustehen, bekam von Dante aber einen Stoß vor den Brustkorb, der seinen Arsch wieder fest auf den Stuhl pflanzte. „Hört mich bitte an. Ich wollte niemandem Schaden zufügen. Die Sache ist einfach … heilige Scheiße … auf einmal ist alles ein Riesenchaos und auch noch gefährlich. Das Ganze ist mir über den Kopf gewachsen; ich will nur noch aussteigen. Und zwar heute Nacht. Ich hab meinen Kontakt angerufen und ein Treffen abgemacht, um ihnen zu sagen, dass ich Schluss mache. Die müssten gleich hier sein, um mich abzuholen.“

Chase schob einen Finger zwischen die Aluminiumblenden am Fenster und schaute auf die Straße hinab. „Dunkle Limousine im Leerlauf am Straßenrand“, stellte er fest und warf dem Menschen einen Blick zu. „Sieht aus, als wäre deine Kutsche da.“

„Scheiße.“ Ben Sullivan schrumpfte im Sessel zusammen, seine Hände nestelten nervös an den verschlissenen Armlehnen.

Unsicher sah er zu Dante auf. „Ich muss los. Verdammt … ich brauche meine Kanone.“

„Du gehst nirgendwohin.“ Dante schob seine Malebranche-Klinge in die Scheide und trat ans Fenster. Er spähte hinunter zu dem wartenden Fahrzeug. Obwohl es unmöglich war, von hier oben aus den Fahrer zu sehen, würde er jede Wette eingehen, dass ein Rogue oder noch eher ein Lakai am Steuer saß und ein weiterer auf dem Beifahrersitz. Er wandte sich wieder dem Menschen zu. „Wenn du in den Wagen steigst, bist du so gut wie tot. Wie erreichst du deinen Kontakt? Hast du eine Nummer?“

„Nein. Die haben mir ein Prepaidhandy gegeben. Es hat unter einer Kurzwahltaste nur eine einzige Nummer eingespeichert, aber die ist verschlüsselt, sodass ich nicht weiß, wo ich anrufe.“

„Lass mich mal sehen.“

Sullivan langte in seine Westentasche, holte das Gerät heraus und reichte es Dante. „Was habt ihr vor?“

„Wir werden das hier für dich aufbewahren, und du begleitest uns jetzt, damit wir unsere kleine Unterhaltung woanders fortsetzen können.“

„Was? Auf keinen Fall!“ Er kam auf die Beine und sah sich panisch um. „Drauf geschissen. Ich habe keine Ahnung, ob ich euch Jungs trauen kann, also danke, oder vielmehr, nein danke.

Ich passe lieber selbst auf mich auf …“

Dante durchquerte den Raum und packte Sullivan an der Gurgel, bevor der auch nur blinzeln konnte. „Das war keine Bitte.“

Er ließ den Dealer los und schubste ihn rüber zu Chase.

„Bring ihn hier raus. Geh hintenrum zum Wagen und fahr ihn ins Quartier. Ich gehe runter und richte den Arschlöchern Sullivans Bedauern aus, dass er verhindert ist.“

Während Chase Sullivan an den Armen packte, um ihn aus der Wohnung zu schaffen, schlüpfte Dante durch die Tür ins Treppenhaus und war im Nu auf der regennassen Straße. Er blieb vor der Limousine stehen und betrachtete durch die Frontscheibe die zwei Menschen im Wagen.

Wie Dante vermutet hatte, waren es Lakaien, geistige Sklaven eines Gen-Eins-Vampirs, der sie erschaffen hatte, indem er ihre Menschlichkeit abzapfte, sie zur Ader ließ, bis kaum noch Leben in ihnen war. Lakaien waren lebende und atmende Menschen, aber ohne Bewusstsein, sie lebten nur dafür, die Befehle ihres Meisters auszuführen.

Und man konnte sie töten.

Dante grinste sie an. Er war mehr als bereit, sie zu erledigen.

Der Schwachkopf auf dem Beifahrersitz blinzelte, als wäre er nicht sicher, was er da vor sich hatte. Der am Lenkrad besaß bessere Reflexe. Während sein Begleiter noch nutzlose Flüche ausstieß, legte er einen Gang ein und trat das Gaspedal durch.

Der Motor röhrte laut auf, und die Limousine schoss auf Dante zu, aber der war gewappnet. Er pflanzte beide Hände auf die Motorhaube, stemmte sich dagegen und griente höhnisch, als die Reifen auf dem nassen Straßenbelag durchdrehten. Es quietschte und qualmte, aber der Wagen bewegte sich nicht einen Zentimeter vorwärts. Als der Fahrer den Rückwärtsgang einlegte, sprang Dante auf die Motorhaube. Der Wagen versuchte schlingernd Fahrt aufzunehmen.

Dante ritt im Stehen auf dem Kühler wie auf einem Surfbrett in der Brandung. Dann stieß er mit dem Absatz seines Stiefels zu und zerschmetterte krachend die Windschutzscheibe. Das zertrümmerte Glas fiel aus dem Rahmen, Splitter flogen in alle Richtungen, als er sich in das Auto zwischen die beiden Lakaien schwang.

„Hallo, Jungs. Wo zum Teufel soll’s denn heute hingehen?“

Sie drehten durch, versuchten ihn zu packen, zu schlagen, sogar zu beißen, doch das alles war nur lästig. Dante zog hart die Handbremse, und der Wagen schleuderte heftig herum.

Er spürte, wie etwas Spitzes seinen rechten Oberschenkel durchbohrte und roch die metallische Note seines eigenen austretenden Blutes. Als er wütend aufbrüllte, schossen seine Fangzähne aus dem Gaumen, seine Pupillen verengten sich zu Schlitzen und seine Augen wurden durchdringend wie Laserstrahlen. Er langte nach dem Lakai auf der Beifahrerseite und packte sein Haar am Hinterkopf. Mit einem einzigen gewaltigen Stoß schmetterte er das Gesicht des Menschen auf das Armaturenbrett und tötete ihn augenblicklich.

Auf der anderen Seite versuchte der Fahrer verzweifelt zu entkommen. Hektisch tastete er nach dem Griff, riss die Tür auf, fiel auf den nassen Asphalt und flüchtete zu einem der schmalen Durchgänge zwischen den Wohnblocks.

Dante stürmte ihm nach und grätschte ihn zu Boden. Er war auf einen Nahkampf aus, wusste aber, dass er den Lakaien nicht umbringen durfte, ehe er nicht ein paar Antworten hatte: wem er diente und wo dieser Vampir zu finden war. Nach dem Namen dessen, der die Lakaien geschaffen hatte, brauchte Dante im Grunde nicht zu fragen. Aufgrund der Ereignisse vor ein paar Monaten wusste der Orden, dass der Vampir, den sie ausschalten mussten, Lucans Bruder Marek war. Aber sie wussten nicht, wo er untergeschlüpft war, seit er im vergangenen Sommer dem Angriff der Krieger entkommen konnte.

„Wo ist er?“, fragte Dante fordernd, drehte den Lakaien um und versetzte ihm einen harten Schlag gegen das Kinn. „Wo finde ich den Meister deines erbärmlichen Arschs?“

„Verpiss dich“, zischte der Lakai.

Dante verpasste ihm noch einen Schlag, dann zog er seine Klinge und hielt sie dem Menschen an die Wange.

„Bring es zu Ende und töte mich, Vampir. Von mir erfährst du nichts.“

Dante fand das Angebot des mental Versklavten ungeheuer verlockend, aber stattdessen zerrte er ihn vom Boden hoch und schleuderte ihn an die Löschbeton-Fassade des nächstgelegenen Gebäudes. Das Krachen, mit dem der Schädel gegen die Hauswand schlug, schenkte ihm ein wenig finstere Genugtuung.

„Wie wär’s, wenn ich dich Stück für Stück in kleine Scheiben schneide?“, fauchte er, seine Stimme ein tiefes Grollen durch die gebleckten Fangzähne. „Es ist mir schnurz, ob du redest oder nicht, aber dein Geschrei werde ich mit Sicherheit höllisch genießen.“

Der Lakai ächzte, als sich die Klinge in seinen fleischigen Hals bohrte. Dante spürte, wie er sich wand, aber plötzlich vernahm er das Klicken, mit dem eine Handfeuerwaffe entsichert wurde. Noch ehe er sie ihm abnehmen konnte, hob der Lakai den Arm.

Er richtete die Waffe nicht auf Dante, sondern gegen sich selbst. Im Bruchteil einer Sekunde hatte er den Lauf an der Schläfe und drückte ab.

„Gottverdammt!“

Die Explosion blitzte in der Dunkelheit orangefarben auf.

Das Echo des Schusses wurde von den großen Gebäuden zurückgeworfen. Der Lakai fiel wie ein Amboss auf den nassen Boden, Blut breitete sich um ihn herum aus wie ein grausiger Heiligenschein.

Dante sah an sich hinunter und untersuchte seine eigenen Verletzungen; diverse Kratzer an seinen Händen und eine tiefe Stichwunde im rechten Oberschenkel. Da seit seiner letzten Mahlzeit noch nicht allzu viel Zeit vergangen und sein Körper kräftig war, würde die Heilung nicht lange dauern. Ein paar Stunden, vielleicht weniger. Aber dafür brauchte er einen sicheren Ort.

Über ihm in den umliegenden Häusern gingen hier und da Lichter an. Gegenüber wurde ein Vorhang aufgezogen, und irgendwer stieß einen entsetzten Schrei aus. Es würde nicht lange dauern, bis jemand die Polizei rief, falls das nicht längst passiert war.

Scheiße.

Er musste von hier verschwinden, und zwar pronto.  Chase war mit dem Geländewagen schon lange weg, und das war ja auch gut so. Aber Dante konnte wohl kaum in die kaputte Limousine steigen und wegfahren, ohne aufzufallen. Er blendete den Schmerz in seinem durchbohrten Oberschenkel aus, drehte sich um, ließ die toten Lakaien und das herrenlose Auto hinter sich und verschwand zu Fuß in der Nacht.

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